Vor einigen Monaten schneite Daniela bei uns rein. Warum sie gerade zu uns gekommen ist? Das müssen wir sie auf jeden Fall fragen. Zufällig kommt niemand hier vorbei …
Auf jeden Fall ist Daniela bisschen anders gepolt was die Lebensgestaltung betrifft. Sehr spannend. Wenn dieser Artikel hier erscheint, hat sie schon zwei weitere solcher Rennen absolviert. Das heißt, es gibt keine Hilfe/Verpflegungsstellen etc.. Es müssen lediglich Checkpoints passiert werden. Die Routenwahl ist frei zu gestalten.
Wir verfolgen sie ein bisschen … die Ruhephasen werden immer kürzer. Und „kürzer“ heißt: in 10 Tagen rund 13 Stunden. Da legen wohl auch Nachtschwärmer die Stirn in Runzeln …
Über eines der Rennen hat sie uns liebenswürdiger Weise einen Beitrag geschrieben – der im Folgenden hier zu lesen ist. Nachdem wir sehr modern geworden sind und mit der Zeit gehen … hier auch der link zu Instagram: Daniela L. Kirchner (@miss.biking.viking) • Instagram-Fotos und -Videos
Solltet ihr jetzt auch Lust bekommen haben. Wir fahren nicht mit … dafür sind wir zu alt (echt jetzt?!), aber wir kümmern uns davor bzw. danach ums Radl.
So, und jetzt ihr Text:
Unsupported Ultra Endurance Rennen – der neue Trend?
Das Transcontinental Race in Europa, die Tour Divide in den USA sind zwei der schon länger etablierten Rennen und jedes Jahr kommen neue dazu. Der Grundidee ist schnell erklärt. Ein Fahrrad, eine Fahrer:in, ein GPS Tracker, Start und Ziel, Route oder Checkpoints die mit eigener Routenplanung abgeklappert werden müssen und das alles unsupported/self-supported. Unsupported/self-supported bedeutet keine Hilfe von Freunden/Begleitfahrzeugen oder dergleichen während des Rennens, Hilfe von Unbekannten darf angenommen werden. Kurz gesagt es ist alles erlaubt was jedem anderem auch zur Verfügung steht.
Ich selbst bin 2020 und 2021 das Three Peaks Bike Race mit Start in Wien und Ziel in Nizza/Barcelona gefahren und 2021 das zum ersten Mal stattfindende Bohemian Border Bash Race entlang der Grenzen des früheren Böhmens, zwei doch sehr unterschiedliche Rennen. Drei Erfahrungen die unterschiedlicher nicht sein hätten könnten und meine Einstellung zum Radfahren und meinem Körper nachhaltig verändert haben.
Das Three Peaks Bike Race 2021
Eckdaten:
Start: Wien, Schönbrunn
Ziel: Barcelona, Arc de Triomphe
3 Checkpoints:
Mangart Sattel, Slowenien
Grosses Scheidegg – Männlichen, Schweiz
Col de Tourmalet, Frankreich
Freie Routenplanung, ca. 2650 km, 35.000 Hm
Die Idee das TPBR 2021 mitzufahren kam heuer sehr spontan. Meine Vorbereitung war daher äußerst dürftig, mit 2 längeren >200 Kilometerfahrten und meinem „Kahlenbergspecialday“ (17mal rauf und runter). Im Moment habe ich kein Rennrad, so musste ich mein Kona Rove Gravelbike mit dünneren Strassenreifen fahren.
Die 2021 Edition des TPBR war für mich eine Grenzerfahrung zwischen Sein und Schein, zwischen Realität und Halluzination, zwischen tiefster Erschöpfung und unbändigem Willen.
Davon erzählen die folgenden Zeilen:
Die Vorfreude am Start mit den letzten Umarmungen von Freunden und auch anderen Teilnehmer:innen war immens, raus aus Wien, rauf auf den Semmering, runter nach Kärnten, die erste Nacht vor einem Supermarkt im Gewerbegebiet bei Friesach, ein perfekter erster Tag. Frühstück in Villach war die letzte Stärkung für die Triologie des zweiten Tages die lautete: Wurzenpass – Vrsic Pass – Mangart (CP1). Es muss Teilnehmer:innen gegeben haben die den Wurzenpass nicht geschoben haben, rund um mich waren sie nicht. Wie in einer Kolonne sind zwei vor mir, ich und noch einer hinter mir auf den Wurzenpass raufspaziert. Durch Kranjska Gora, ein kurzer Powernap am Vrsicpass war mir nicht vergönnt, ein besorgter Motorradfahrer wollte gleich wissen ob ich eh nicht gestürzt oder verletzt bin. So musste ich weiter zum Mangart Sattel (CP1), wo meine späte Ankunft am Nachmittag mir den Vormittagsregen erspart hat.
Meine weitere Route führte mich durch Italien, in Tarvis verschlang ich gerade meine Abendessen-Pizza, als das Fussball-EM Finale, das Italien später gewonnen hat, angepfiffen wurde. Als Schlafplatz diente für die zweite Nacht eine Bushaltestelle, wo ich mit einen „Wo ist die Kleine Zeitung?“ um 3.30 Uhr geweckt wurde. Die Zeitungsausträgerin war verzweifelt auf der Suche nach ihrem Stapel der Kleinen Zeitung, die vermutlich verspätet geliefert wurde, so wurde es ein früher Start für mich durch das Lesachtal, Südtirol, Brenner, Innsbruck Richtung Arlberg. Der Schlafmangel machte sich langsam bemerkbar, kurz nach Innsbruck verwandelte sich eine Felswand in ein einige Meter großes Einhorn – das sollte wohl ein Zeichen sein um eine nächtliche Pause einzulegen.
Über den Arlberg und durch die Schweiz verfolgte uns eine Unwetterfront die in Deutschland schwere Überschwemmungen hinterließ und doch einige zum Aufgeben bewegte. In Feldkirch direkt nach dem Arlberg kaufte ich das erste Paar neue Socken, und es sollte nicht das einzige Kleidungsstück bleiben. Durch Zug und Luzern in strömenden Regen bis Meiringen. Am fünften Tag dort gegen 17 Uhr angekommen war die Entscheidung ob ich noch aufs Grosse Scheidegg rauf fahren sollte einerseits klar, wenn auch nicht klug. Die Abfahrt nach Grindelwald nachts sollte die härteste Stunde des ganzen TPBR2021 für mich werden. In strömendem Regen, zitternd, im dunklen, frierend und durchnässt musste ich teilweise mit den Schuhen bremsen. Mir war klar dass ich falls ich stürze nicht mehr aufstehe bis mich jemand findet, aber gleichzeitig war bis nach Grindelwald hinunterzufahren auch die einzige Option. Eine heiße Dusche und ein Bett waren mehr als notwendig und auch verdient.
So sehr den Elementen und der Umwelt ausgeliefert zu sein, ist zwar manchmal schwer zu begreifen und auch zu akzeptieren, aber genau hier liegt für mich auch der Reiz an solchen Rennen teilzunehmen. Es reicht nicht schnell Fahrradfahren zu können, noch wichtiger ist es, die Umstände in welche man gerät zu akzeptieren, zu bewältigen und sich nicht von dem eigentlichen Ziel abbringen zu lassen. Mentale Stärke ist oft wichtiger als körperliche.
Selbstverständlich wäre das Scheidegg und auch Grindelwald im Sonnenschein traumhaft gewesen, aber ja…. Morgens nach dem Aufwachen fing ich an mit dem Regen zu sprechen und ihn zu bitten mir ein paar Stunden „regenfrei“ zu geben für den Anstieg zu CP2. Kurz zuvor traf ich noch Jakub, den Fotografen von @adventurehunters.cz. So bekam ich auch noch die Möglichkeit meine Lebensweisheiten wie „I know this terrible weather is just 0.0000001% of my life, so even though its super tough I don’t want to scratch, there will be a moment soon, when we all will laugh about this“ loszuwerden vor unserem nächsten Zwischenziel, dem Männlichen (CP2). Trotz Wolken und Regen war die Aussicht dort oben wirklich schön.
Dieser sechste Tag am Rad hatte für mich noch ein weiteres Highlight parat. Abends, ich war schon etwas müde von den Strapazen der letzten Tage, fuhr ich über einen kleinen Hügel, den Col de Pillon. Die Straße war Auto leer, es dämmerte langsam. Es gab keine tollen Aussichten, es regnete leicht, ich wusste, ich hatte noch eine lange Abfahrt im dunklen vor mir, kurz gesagt es gab nichts Besonderes, es war nicht der perfekte oder schönste Zeitpunkt. Aber genau in diesem Moment wusste ich, ich sollte genau jetzt zu diesem Moment hier an diesem Ort sein. Es war alles perfekt und richtig so wie es ist. So stark im Moment zu leben, ist auch eins der Dinge die ich an Ultrarennen schätze. Meist gibt es nichts was einen an die Vergangenheit oder Zukunft denken lässt. Es zählt rein was ich in diesem Moment brauche: Essen, trinken, schlafen.
Der Regen begleitete mich noch weiter entlang des Genfer Sees, ein paar Umwege aufgrund von überschwemmten Strassen überraschten mich auch nicht mehr. Wenig konnte mich noch aus der Bahn werfen. Ich fragte mich ernsthaft wann bei dauerhaft nassen Füssen die Haut beginnt sich aufzulösen. Auch der Kauf von neuen Socken half nur bedingt – die Schuhe blieben ja naß.
Dazu kam es glücklicherweise nicht, sondern es ging Richtung Frankreich. Mit Rückenwind durch das Rhonetal, Valence, Nimes, Montpellier. 300 Kilometer und ein ausgebuchtes Hotel später wurde doch wieder biwakiert, aber macht das noch einen Unterschied?
Leider hatte der Regen auch meine Schlafstrategie zunichte gemacht. 15 minütige Powernaps hätten mir helfen sollen das Schlafdefizit zu überwinden, aber bei Regen und kalten Temperaturen ist das doch etwas ungemütlich. So spielte mir mein Gehirn mittlerweile regelmäßig Streiche. Bodenmarkierungen waren nicht mehr statisch, sondern bewegten sich. Barrikaden türmten sich vor mir auf. Vor einer vermeintlichen Unterführung bremste ich, bevor ich zwei Sekunden später begriff dass es sich nur um eine Halluzination handelte. Ein riesiger goldener Elefant war plötzlich am Feld neben mir aus einem Heuhaufen entstanden.
So kämpfte ich mich mit starkem Gegenwind durch Carcassonne bis zu CP 3 oder fast. Meine Vorfreunde auf den Col du Tourmalet war groß, eine einfach zu befahrende Steigung … Sonnenschein … aber es kam anders. Mein Hintern, meine Radhose und mein Sattel waren nicht mehr kompatibel und nur durch den Einsatz von unzähligen Blasenpflastern die ich großzügig an vielen Stellen platzierte konnte ich überhaupt noch einen Fuß vor den anderen setzen. Auf dem Sattel zu sitzen war mehr als schmerzhaft, so tauschte ich meine Radhose mit einer Stoffhose und machte anstatt einer Radfahrt eine Wanderung auf den Tourmalet, und später nachts noch auf den Col d’Aspin. Nachts draußen allein zu sein, diese teilweise magischen Stimmungen haben mich schon seit meiner ersten Nachtfahrt fasziniert. Trotzdem war ich froh als ich um 3 Uhr nachts in Arreau eine Parkbank fand.
Nach CP3 sollte es doch langsam zu Ende sein, aber weit gefehlt, da warteten noch unzählige Höhenmeter und Kilometer, aber auch der beste Tunnel für Fahrradfahrer:innen, in dem eine ganze Spur nur für uns gesperrt wird. Die spanische Hitze, der Sommer, machte sich auch langsam bemerkbar. Und dann kam noch der Finisherparcour der mich überlegen ließ, 40 km vor Barcelona in eine Bar einzukehren, eine Flasche Wein zu bestellen und einfach nur heulend sitzen zu bleiben.
Was ich dann doch nicht machte.
11 Tage, 9 Stunden, 33 Minuten nach unserem Start in Schönbrunn kam ich am Arc de Triomphe in Barcelona an.
11 Tage die ich nicht missen möchte.
Daniela